• Titanic im Vorgarten

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    Es war einmal, oder wie die Engländer sagen: „Once upon a time …“  … in Neu-Isenburg, einem kleinen Städtchen südlich von Frankfurt am Main …

    Siedlerhäuschen im 50er Jahrestil prägen zu Hauf den Isenburger Stadtteil Buchenbusch, viele davon weichen immer öfter luxuriösen Wohnbauten. Gute Lage sagen Markler und Spekulanten. Wie bereits erwähnt, befinden wir uns in der Nähe von Frankfurt. Nur wenige dieser knuffigen Häuschen sind heute noch in ihrem ursprünglichem Erscheinungsbild erhalten. Vor einem Solchen stellte man vor rund 25 Jahren ein „E-type“ ab, eigentlich nur, wie man uns mitteilte, „vorübergehend“. Ein weißes V12 Coupe mit Lenkrad auf der „richtigen“ Seite, ich weiß, hier werden Einwände kommen, und britischem Kennzeichen. Kurios ist, dass dieses Fahrzeug gar nicht wegen der, wie man gerne  sagt, typisch britischer Unzuverläßigkeit aufgegeben wurde. Im Gegenteil, dieses Fahrzeug war seinerzeit „voll im Saft“. Es existieren alle Belege, Tank- und Werkstattrechnungen, Papiere usw. Man spendete dem Gefährt noch kurz zuvor eine standgemäße neue Dunlopbereifung. Alles ist komplett, kein fehlender Reservereifen, das Bordwerkzeug ist vollständig . Was ist passiert?

    OLYMPUS DIGITAL CAMERADie Karriere winkt. Der „e“-Eigener, ein Brite mit indischem Flair: „ich bin dann mal weg!“ Er musste geschäftlich ins Ausland, den Wagen stellte er in die Einfahrt vor seinem vermieteten Häsuchen, schlicht gesagt, er parkte nur. Vielleicht ein paar Tage, eine Woche?

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    Und was ist, wenn das berufliche Fortkommen das Leben prägt? „Kein Problem, wenn ich Zeit habe, dann“ … Das war damals so kurz vor der „Wende“. Honecker versprach, er würde die Grenze niemals öffnen. Hat er ja auch nicht, aber viele andere … Unser „e“ war zu dieser Zeit noch kein Oldtimer, mehr ein unzuverlässiger Gebrauchtwagen mit extrem hohen Unterhaltskosten. 5,3 Liter Hubraum, kein Kat und noch keine H-Kennzeichen in Sicht, so ruhte Schneewitchen ungeschütz auf seinem Platz.

    Vor dem Siedlerhäuschen geriet der „e“ endgültig in Vergessenheit. Viele Jahre „zierte“ er die Einfahrt, mooste so vor sich hin und wurde zum Stadtgespräch: „Du weißt doch, das Haus mit dem schrottigen „e“ vor der Tür!“ Ich konnte es nicht mit ansehen. Ich suchte nach dem Eigentümer und wurde fündig. Zufälligerweise besuchte er gerade seinen Bruder in Neu-Isenburg. Er selbst lebt zwischenzeitlich in Saudi-Arabien und Geldprobleme scheint er nicht zu haben. Er hatte den Wagen schlicht und ergreifend vergessen! Nach Kontaktaufnahme konnten wir das Fahrzeug begutachten. Es war wie die Entdeckung des britischen Luxusliners in den 80ern.

    Die Natur ist nicht sehr respektvoll im Umgang mit technischem Kulturgut, nahm sie sich über die Jahre hinweg des wohlgeformten Bleches dieser Design-Ikone an. Moos versiegelte die Türspalten. Das Wasser fand trotzdem seinen Weg. Die Dichtgummis wurden spröde. Die schwarzen Fußmatten verfärbten sich und bekamen einen weißgrauen Pelz. Das Leder verblasste. Der Chrom pickelte zusehens. Stolz zierte der Schriftzug „Jaguar e V12“ die bröckelnde Kofferraumhaube. Die ursprüngliche Farbe Weiß oder wie die Engländer sagen -„Oldenglishwhite“ wich einem Graugrün. Alle Gummis zum abdichten versagten kläglich. Wer rastet, der rostet. Dieser „e“ konnte ein Liedchen davon singen. Eine Dose WD40, zwei Tage später und wir konnten in den Innenraum. Nichts für Allergiker. Alle Pilze dieser Welt sprießen fröhlich vor sich hin, uns schlug ein modriger Duft entgegen. Der Dachhimmel hing auf Halbmast. Die gigantische Motorhaube musste mit einem Besen abgestützt werden. Wer unbedingt mit Patina leben möchte, hier hätte er seine wahre Freude gehabt.

     

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    Ich wäre gerne bereit gewesen, dieses „Schiff“ zu bergen, aber der Besitzer wusste nicht, ob er sich vom „e“ trennen sollte. Seine Jugend- und Studienzeit: „Ich weiß nicht und ob und wenn?“ … Weiter sind wir in sieben Jahren nicht gekommen. Er würde sich wieder bei mir melden, stieg in seinen weißen 560er AMG-Mercedes und fuhr von dannen. Der letzte Standort des Jaguars war eine Oldtimer-Werkstatt in Darmstadt. Wo er sich zur Zeit befindet und in welchem Zustand er nun ist, wer weiß?

    Eine Titanic im Vorgarten, versenkt durch Zeitmangel, zerfressen vom Zahn der Zeit …

    Text und Fotos: Frank Arne Teschner | veröfentlicht 2012 in der Oldtimer Markt und 2013 im STAG-Magazin

4 Responsesso far.

  1. JP M sagt:

    Hi Frank,

    schöne Homepage, und jetzt auch noch erweitert um einen Marktplatz … Danke an Dich und Dein Engagement!

    Wir sehen uns dann in Weida zum Kuchenmarkt.

    Viele Grüße
    J-P M.

  2. JP M sagt:

    Ein E-Type ist immer noch hübscher als ein neuer F-Type….

    Liebe Grüße
    JP M.

  3. G S sagt:

    Hallo,
    der Jaguar mit dem lenkrad auf der „falschen“ Seite ist ein alter Bekannter. Verwandtschaft von mir wohnt nebenan. Der Jaguar war traurig anzusehen. 1993 fasste ich dann den Entschluß dem Besitzer ein Kaufangebot zu machen. Kontaktaufnahme ging über den Briefkasten. Er hat sich tatsächlich gemeldet. Ich konnte die kompletten Unterlagen einsehen und konnte das Auto besichtigen (er sah damals noch nicht so schlimm aus). Der Motor lief wegen einer defekten Elektrik (Kosten ca. 200 DM) allerdings nicht. Einigen konnten wir uns leider nicht. Sein Angebot war: Den Jaguar für Ihn für 20.000 DM zu restaurieren und bis dahin wollte er ihn in dem von ihm gekauften Sägewerk am Bahnhof unterstellen. Auch Nachfragen brachten leider keine Einigung.

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